Life Guidance, Bad Luck, Manaslu, Streif – One Hell of a Ride oder zuletzt Klammer – Chasing the Line, so liest sich ein Auszug aus dem Portfolio von Manfred Plessl. Mit seinen Kompositionen made in Kärnten sorgt der musikalische Virtuose regelmäßig für Aufsehen, auch international. Einer seiner Scores lief bereits im Wettbewerb der Filmfestspiele in Venedig. Der alle Regeln der Touristik sprengende Werbefilm “Alles kann, nichts muss” sackte einen renommierten Preis nach dem anderen ein. Und im aktuellen Klagenfurt-Spot übernimmt Plessl die Rolle des verwegenen Teufelsgeigers. Zeit, den Mann mit dem feinen Gehör zum dialogischen Tanz aufzufordern.
Ich habe mit Manfred Plessl ein paar Takte gewechselt, mit ihm über seine umfangreiche Arbeit gesprochen, die Bedeutung der Vitamine B und D diskutiert und nach seiner ganz persönlichen Beziehung zu Klagenfurt gefragt.
Simon: Lieber Manfred, Geräusche, Töne und Melodien bestimmen deinen Alltag. Was hast du heute in der Früh als erstes gehört?
Manfred Plessl: Das war mein extrem unangenehmer Handywecker, dessen Penetranz ich in einen Soundtrack sicher nicht einbauen würde. Normalerweise wache ich immer schon zehn Minuten vor dem Wecker auf. Aber heute hat mich mein natürliches Timing etwas im Stich gelassen.
Simon: Kino, Theater, Fernsehen, Dokumentationen, Werbung und noch gleich mehrere Band-Projekte: Ich nehme an, dein Arbeitstag beginnt recht zeitig, bei so viel Umtriebigkeit.
Manfred Plessl: Natürlich versuche ich, so viel wie möglich an einem Tag zu erledigen. Aber richtigen Stress mach ich mir – wenn möglich – keinen. Die Arbeit soll ja Freude machen und deshalb gehe ich alles recht kamot an. Außer wenn mir die Deadlines um die Ohren fliegen, da kann man sich einen solchen Luxus nicht leisten.
„Ich schöpfe aus einem enormen Inspirationspool, der nie Gefahr läuft auszutrocknen.“
Simon: Woher kommt das Interesse an derart unterschiedlichen Produktionen?
Manfred Plessl: Das ist eine gute Frage! Angefangen hat alles mit der Geige. Ich habe extrem lange in einem Streichquartett gespielt, so richtig mit Mozart, Haydn, Schostakowitsch. Die habe ich dort alle auf und ab gespielt. Zehn Jahre lang bin ich dabei durch die Konzertsäle dieses Planeten gereist. Das hat mir extrem wichtige Erfahrungen gebracht. Gleichzeitig faszinieren mich Film und Fernsehen bereits seit meiner frühen Jugend. Zusammen mit meinem Schulkollegen Flo Lackner (Regisseur von White Christmas) haben wir damals begonnen, unsere Englisch-Hausübungen als Videoproduktionen abzugeben. Er filmte das Bildmaterial, ich kümmerte mich um den Sound. Das hat uns mehr als einmal vor dem Fleck bewahrt (lacht).
Simon: Ein sehr charmanter Einstieg in die Karriere.
Manfred Plessl: Von Karriere kann man damals noch nicht sprechen. Aber ja, das waren meine ersten Kontakte mit dem Medium Film. Als ich mir dann über die Jahre mein eigenes Studio zusammengebaut habe und die Aufträge herein geflattert kamen, da konnte ich mich plötzlich in künstlerischer Hinsicht komplett austoben. Neben Kino- und Fernsehfilmen eben auch in der Werbung. Ich mag diese Abwechslung. Da wird einem nie langweilig.
Simon: Jedes Projekt ist anders. Wie schaffst du es, an jeden Soundtrack mit frischer Inspiration heranzugehen?
Manfred Plessl: Durch meine klassische Ausbildung habe ich ein wirklich gutes Handwerkszeug, auf das ich zurückgreifen kann. Und außerdem ist mein Interesse an den unterschiedlichsten Musikstilen – von der Folklore bis zum Dubstep – niemals abgerissen. Dadurch schöpfe ich aus einem enormen Inspirationspool, der nie Gefahr läuft auszutrocknen. Ich schütte ja immer etwas nach.
„Mein Anspruch an mich selbst ist es, Musikprodukte in höchster Qualität zu produzieren.“
Simon: Schießt du eher aus der Hüfte oder bist du ein penibler Perfektionist?
Manfred Plessl: Ich würde sagen, das eine bedingt das andere. Zum Beispiel bei einem Kinofilm mit extrem langer Vorlaufzeit, da beginnt meine Arbeit bereits, ohne das Filmmaterial zu kennen. Mein wichtigster Anhaltspunkt ist dann das Drehbuch. Deshalb ist der erste Eindruck, den ich beim Lesen habe, enorm wichtig. Ich setze mich dann immer gleich zum Rechner und versuche, diese unmittelbare Stimmung einzufangen. Und meistens passt dieser first catch auch mit dem Stil des späteren Videomaterials zusammen. In dieser Phase schieß’ ich schon eher aus der Hüfte.
Simon: Und wo kommt der Perfektionist in dir zur Geltung?
Manfred Plessl: Naja, irgendwann ist der spielerische Teil der Arbeit halt vorbei. Am Anfang gebe ich mir viel Raum für Improvisation. Zum Beispiel, wenn ich eine Melodie suche. Da kann schon sein, dass ich viele verschiedene Ansätze probiere. Wenn das Gerüst erst einmal steht, kommt die Feinarbeit. Beim Arrangieren und Mixen wird es dann doch eher technisch. In diesem Teil der Arbeit bin ich eher penibel. Da muss einfach alles passen. Denn mein Anspruch an mich selbst ist es, Musikprodukte in höchster Qualität zu produzieren.
Simon: In welcher musikalischen Tradition siehst du dich selbst?
Manfred Plessl: Studiert habe ich zeitgenössische Komposition. Also contemporary music, mit der die meisten Leute nicht wirklich etwas anfangen können, weil das teilweise hart an der Grenze zu dem liegt, was landläufig unter Musik verstanden wird. Trotzdem ist die Kompositionstechnik an sich sehr old school. Also fünf Linien, diverse Schlüssel und ja: Noten.
Von da geht die Spanne eigentlich über alle Genres bis hin zum modern score, einem Hybriden aus vielen verschiedenen Genres. Das ist ein sehr spannendes Experimentierfeld. Oft geht das auch in Richtung Sound Design, also weg von der Musik, hin zum Geräusch. Da schließt sich der Kreis dann irgendwie wieder.
Simon: Eine musikalische Wildsau, wenn man so sagen darf?
Manfred Plessl: Das darf man so sagen! Ich muss als Komponist in der Lage sein, den Wünschen, etwa des Regisseurs, gerecht zu werden. Und das erfordert natürlich ein entsprechend großes Repertoire.
Ruth Mader, für die ich gerade den Soundtrack zu ihrem neuen Thriller „Serviam“ gemacht habe, steht zum Beispiel total auf Bernard Herrmann, den Haus- und Hof-Komponisten Hitchcocks. Meine Aufgabe ist es, den Stil Herrmanns, sein Coleur, bedienen zu können. Da hat man es mit Kompositionen auf allerhöchstem Niveau zu tun und das taugt mir irrsinnig gut.
„Die Interaktion mit dem Publikum gibt mir unglaublich viel Kraft.“
Simon: Du hast ja am Konservatorium in Klagenfurt (inzwischen Gustav Mahler Privatuniversität) und an der Escuela Superior de Música Reina Sofia in Madrid studiert. Welche Erinnerungen verbindest du mit deiner Studienzeit?
Manfred Plessl: An die Zeit am Konse habe ich nur wunderschöne Erinnerungen. Ich durfte bei wirklich erstklassigen Professorinnen und Professoren studieren und habe in Klagenfurt eine feine und solide Ausbildung genossen. Aber die Musik hört ja nie auf und man selbst lernt nie aus. Deshalb setzte und setze ich mich auch nach meiner Studienzeit intensiv mit Musiktheorie und aktuellen Trends auseinander. Irgendetwas Neues gibt es immer noch zu entdecken.
Simon: ¿Y en España?
Manfred Plessl: In Madrid habe ich mich ausschließlich auf die Viola konzentriert. Da spielte ich in einem Streichquartett und habe so die ausführende Seite der Musik noch genauer kennengelernt. Das hilft dir als Komponist ungemein, wenn du unmittelbar verstehst, wie sich das, was du auf einem Blatt Papier notierst, im kleineren Ensemble oder im Orchestergraben anhört. Von diesem Miteinander aus Theorie und Praxis profitiere ich.
Simon: Theorie und Praxis fließen auch in deinen Liveprojekten zusammen. Arbeitest du lieber im Studio oder stehst du lieber mit der Geige auf der Bühne?
Manfred Plessl: Ich bin mit diesem Instrument aufgewachsen und spiele die Geige, seit ich mich erinnern kann. Außerdem habe ich gemerkt, dass man recht schnell an Vitamin-D-Mangel leidet, wenn man täglich zwölf Stunden im Studio sitzt. Die Life-Performance, die Interaktion mit dem Publikum, gibt mir unglaublich viel Kraft. Das Studio ist dann wieder ein ganz anderes Universum. Auch schön, aber das hat miteinander eigentlich nicht viel zu tun. Das sind zwei verschiedene Berufsbilder, die ich beide sehr gerne auslebe.
Simon: Welche würdest du aktuell als deine Hauptband bezeichnen?
Manfred Plessl: Zurzeit ist das Manjana mit Jana Thomaschütz. An diesem Projekt arbeiten wir gerade sehr intensiv und werden so um Ostern herum die erste Single raushauen. Unser erstes Album wird dann im Laufe des Jahres komplettiert und veröffentlicht.
„Ich muss nicht immer in der ersten Reihe stehen.“
Simon: Ich unterstelle jetzt einfach, dass ihr bei Manjana alles selbst schreibt.
Manfred Plessl: Aufs Album kommen nur Eigenkompositionen, ja. Bei all meinen Projekten ist es mir ein großes Anliegen, dass man vor allem eigene Ideen einbringt und umsetzt. Natürlich kann man in die Setlist auch ein paar alte Hadern einbauen, die jeder kennt. Aber vielleicht in einer eigenen Variante, so dass dem Bekannten etwas Neues hinzugefügt wird. Das macht es spannend. Aber grundsätzlich ist das Schreiben und Interpretieren von Eigenkompositionen die Königsdisziplin.
Simon: Mit welchem Instrumentarium arbeitet ihr?
Manfred Plessl: Die Grundbesetzung ist die Geige und das Cello. Aber das kann man so auch nicht stehen lassen. Jana ist eine extrem talentierte Musikerin und spielt neben dem Cello auch Gitarre und Klavier und komponiert auch fantastisch. Deshalb switchen wir auch ganz gerne die Instrumente. Das heißt, sie ist plötzlich an der Gitarre oder am Klavier, ich am Cello oder wie auch immer. Und seit Kurzem haben wir mit Sebastián Haidutschek einen mordsmäßigen Perkussionisten am Start. Der war Jahrelang in Indien und hat dort Tabla spielen gelernt. Und du merkst halt: der ist nicht nur da, um das Tempo zu halten, sondern der kann so richtig mitmusizieren. Dann wird das Ganze lebendig und das macht natürlich umso mehr Spaß.
Simon: Und als ob das alles noch nicht genug wäre, bist du nebenbei auch noch Produzent.
Manfred Plessl: Mir taugt die Arbeit an der Musik halt einfach in all ihren Facetten. Und dazu gehört auch das Produzieren und Arrangieren. Als mich Katarina Hartmann, die Bandleaderin von Jasa, letztes Jahr gefragt hat, ob ich an ihrem Debüt-Album mitarbeiten möchte, habe ich nicht lange überlegt. Ich muss nicht immer in der ersten Reihe stehen. Mir gefällt es auch, mit gespitzten Ohren im Regiekämmerchen zu sitzen und die Fäden zu ziehen.
„Das ist mir zu mafiös.“
Simon: Vom Regiekämmerchen auf die Weltbühne: Ruth Maders Film Life Guidance, für den du den Soundtrack gemacht hast, lief 2017 bei den Filmfestspielen in Venedig. Gab es danach Anfragen aus der internationalen Filmwelt, gar aus Hollywood?
Manfred Plessl: Das würde man sich gerne so vorstellen, dabei passiert das in Wirklichkeit gar nicht so oft. Natürlich gab es den einen oder anderen Anruf, wie zum Beispiel von Andreas Schmied (Regisseur von „Klammer – Chasing the Line“). Letztendlich muss man sich aber nach wie vor selber darum kümmern, egal wie groß der Erfolg des Filmes war. Schon eher passiert es da, dass man von Kollegen weiterempfohlen wird.
Simon: Also Vitamin-B?
Manfred Plessl: Mit diesem Ausdruck habe ich noch nie etwas anfangen können. Es geht nicht darum, von jemanden irgendwo hineingedrückt zu werden, nur weil man denjenigen kennt. Das ist mir zu mafiös. Und letztlich sagt das ja überhaupt nichts über die Qualität der Arbeit aus. Wenn aber dein eigenes Schaffen für dich spricht und du dir dadurch die Anerkennung deiner Kollegen erarbeitest, dann ist das was ganz anderes.
Simon: Zusammen mit David Hofer und Michael Kuglitsch hast du den Werbespot „Alles kann, nichts muss“ gemacht, der national und international mit Preisen überhäuft wurde. Nun stehst du in der Fortsetzung „Klagenfurt sehen und leben“ als Teufelsgeiger selbst vor der Kamera. Wie fühlt sich das an?
Manfred Plessl: (Lacht) Teuflisch-schön! Bei „Klagenfurt sehen und leben“ ist die Musik ja noch viel präsenter als beim Vorgängervideo. Da freut es mich natürlich, dass ich mit im Bild sein darf.
Simon: Steht jetzt neben der Musik auch noch eine Schauspielkarriere an?
Manfred Plessl: Nein, ganz sicher nicht. Ich durfte zwar vor Jahren in einer Dokumentation schon einmal den Komponisten Hugo Wolf verkörpern und werde auch demnächst in Flo Lackners White Christmas kurz zu sehen sein, aber nur als Statist. Die echte Schauspielerei überlasse ich lieber den Profis.
„Für mich ist Kärnten einfach der Burner!“
Simon: Unabhängig davon, für wen du arbeitest, könntest du dir dein Studio ja überall auf der Welt einrichten. Warum bist du nach Klagenfurt zurückgekommen und hier geblieben?
Manfred Plessl: Für mich ist Kärnten einfach der Burner! Es ist einfach schön hier, die Lebensqualität, Seen, Berge, Wandern, Ruhe – das ist ein echter Luxus für mich. Und wenn man in Kärnten geboren ist, braucht man das auch irgendwie. Ein Stück Land ohne Hügel wird da schnell fad. Und man ist ja doch auch stolz darauf, Kärntner zu sein und als Kärntner Erfolg zu haben und über die Landesgrenzen hinaus Preise zu gewinnen. Das ist schon ein sehr schönes Gefühl, auf diese Art sein Bundesland zu repräsentieren.
Simon: Gibt es für dich ganz spezielle Inspirationsorte in oder um Klagenfurt?
Manfred Plessl: Für mich ist beim Arbeiten wichtig, dass ich meine Ruhe habe. Die finde ich eher außerhalb der Stadt. Da brauch ich dann nicht viel Ablenkung. Gerade bei Auftragsarbeiten, die klassisches Komponieren verlangen, nehme ich gerne meinen Notizblock und such mir meistens einen Ort mit Ausblick. Zum Beispiel am Magdalensberg, bei einem guten Kaffee oder einem Bier. Das ist dann schon mächtig, wenn man von dort oben so ins Land hineinschaut. Da kommen die Ideen fast von alleine. So ist etwa meine Komposition „Paranoida Islands“ für die Einweihung der neuen Marienorgel im Klagenfurter Dom entstanden.
Simon: Schöne Aussichten ist ein perfektes Schlusswort: Auf welches Projekt made by Plessl darf man sich in naher Zukunft freuen?
Manfred Plessl: Den Score zum bereits erwähnten Film „Serviam“ von Ruth Mader habe ich vor Kurzem finalisiert. Als nächstes steht dann der neue Film von Gerald Salmina an, mit dem ich bereits bei „Streif – One Hell of a Ride“ zusammengearbeitet habe. Das wird eine Dokumentation über den Surfer Bjørn Dunkerbeck. Da freue ich mich schon darauf!
Wir uns auch!
Denn man darf sich von Manfred Plessl in Zukunft noch viel erwarten. Denn der nächste Anruf aus der Filmwelt kommt bestimmt. Wer sich in der Zwischenzeit mit dem Werk Manfred Plessls auseinandersetzen will, kann das natürlich im TV, Kino und auf den Bühnen des Landes tun, oder auf Spotify, wo eine handverlesene und frei zugängliche Auswahl seiner besten Stücke abrufbar ist.
Manfred Plessl
Manfred Plessl, geboren 1984 in Klagenfurt, hat Komposition und Violine am Konservatorium Klagenfurt und Kammermusik an der Escuela Superior de Música Reina Sofía Madrid bei Günter Pichler (Alban Berg Quartett) studiert. Über fünf Jahre lang war er als Bratschist beim Acies-Quartett engagiert und ist dort mit dem Gradus ad parnassum Preis 2006 und als „Künstler des Jahres 2007“ des österreichischen Rundfunksenders Ö1 ausgezeichnet worden.
Seit über 15 Jahren arbeitet er als selbstständiger Komponist für Kino, Fernsehen, Werbung und Theater. Projekte, die Manfred Plessl vertont hat, sind sowohl Publikumserfolge als auch bei Kritikern geschätzt.
Werkauswahl
2021 Klagenfurt sehen, und leben (Werbespot; Soundtrack)
2020 Jasa – Jasa (Musikalbum; Arrangement, Produktion)
2020 Alles kann, nichts muss (Werbespot; Soundtrack)
2018 Manaslu – Berg der Seelen (Soundtrack)
2018 Traman (Soundtrack)
2016 Diözese Klagenfurt-Gurk “Paranoida Islands – Asymmetrical Distribution“ – für Orgel, Bassklarinette und Schlagwerk (Auftragskomposition)
2017 Halim (Kurzfilm; Soundtrack)
2016 Valossn (Soundtrack)
2015 Bad Luck (Soundtrack)
2014 Streif – One Hell of a Ride (Soundtrack)